Archiv der Kategorie: Urteile zu Sozialfragen

BUNDESSOZIALGERICHT – Richter stärken Rechte von Hartz-IV-Empfängern

In seiner ersten Sitzung zu den Hartz-IV-Gesetzen hat das Bundessozialgericht deutliche Kritik an Teilen der Reform geübt. Die Richter stärkten die Rechte von Hartz-IV-Empfängern gegenüber den Behörden.

Nach Ansicht des obersten deutschen Sozialgerichts seien Hilfen für getrennt lebende Arbeitslosengeld-II-Empfänger „aus verfassungsrechtlichen Gründen erforderlich“. Zudem begrenzte das Bundessozialgericht (BSG) die Möglichkeiten der für die Leistungsgewährung zuständigen Arbeitsgemeinschaften, die Gelder für Miete und Nebenkosten zu drücken. Auch Eigentumswohnungen sind künftig besser geschützt.
Die Hartz-IV-Reform trat Anfang 2005 in Kraft. Für viele Arbeitslose ersetzt seitdem das Arbeitslosengeld II die Sozialhilfe. Während Sozialhilfeempfänger aber in besonderen Lebenslagen einen Zuschlag zum Regelsatz bekommen können, ist dies beim Arbeitslosengeld II nicht vorgesehen. Dagegen klagte vor dem BSG ein arbeitsloser und geschiedener Vater aus Duisburg. Er machte geltend, die die aus Arbeitsagentur und Kommune gebildete Arbeitsgemeinschaft müsse für die Fahrt- und Verpflegungskosten aufkommen, die durch regelmäßige Besuche seiner beiden im niederrheinischen Rees bei der Mutter lebenden Töchter entstehen.

Das BSG stimmte ihm unter Hinweis auf das Grundgesetz zu. Weil das Gesetz einen Zuschlag zum Regelsatz von monatlich 345 Euro nicht zulasse, müsse in solchen Fällen eine „Bedarfsgemeinschaft auf Zeit“ möglich sein. Danach werden die minderjährigen Kinder für ihre Besuchstage dem Haushalt des Vaters zugerechnet. Vertreter verschiedener Arbeitsgemeinschaften verwiesen am Rande der Verhandlung auf den hohen Verwaltungsaufwand einer solchen Regelung. Der Gesetzgeber habe dies aber offenbar „so gewollt“, erklärten die Kasseler Richter. Über die weit höheren Fahrtkosten soll nun das Sozialgericht Duisburg neu verhandeln.

Arbeitsgemeinschaft bewilligte nur Teil der Miete
Im zweiten Fall stritt eine arbeitslose Mutter mit vier Kindern aus Niedersachsen über die Kosten ihrer Wohnung. Mit 580 Euro bewilligte die Arbeitsgemeinschaft nur einen Teil der Miete. Dabei stützte sie sich auf die bundesweit einheitlichen Wohngeldtabellen. Doch das ist nicht zulässig, urteilte das BSG. Es folgte damit der früheren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur Sozialhilfe. Den Kommunen gaben die Kasseler Richter auf, eigene Maßstäbe für die Angemessenheit einer Wohnung zu entwickeln, die den örtlichen Gegebenheiten besser entsprechen.
Dabei müsse nur „das Produkt“ aus Größe und Quadratmeterpreis stimmen, betonte das BSG. Es gab damit den Arbeitslosen einen gewissen Spielraum bei der Wohnungssuche. So können Arbeitslose beispielsweise auch eine Wohnung mit leicht gehobener Ausstattung wählen, wenn sie sich dafür bei der Größe entsprechend einschränken. Weiter entschied das BSG, dass Arbeitslose in der Regel nicht in einen anderen Ort umziehen müssen, um die Wohnungskosten zu senken.

Mit einem dritten Urteil schließlich erschwerte das BSG den Zugriff der Arbeitsgemeinschaften auf Eigentumswohnungen und Häuser. Danach ist für ein oder zwei Personen eine Eigentumswohnung von 80 und ein Eigenheim von 90 Quadratmetern als „Schonvermögen“ geschützt und muss von den Arbeitslosen deshalb nicht verkauft werden. Für jede weitere Person kommen 20 Quadratmeter hinzu.
(Az: B 7b AS 14/06 R, B 7b AS 18/06 R und B 7b AS 2/05 R)

Quelle: Spiegel-Online vom 07.11.2004 und Bundessozialgericht

Neues Urteil: Kindergeldzahlungen ist Einkommen

Die Kindergeldzahlungen werden als Einkommen berücksichtigt. Dies ergeht aus einem neuen Urteil des Bundessozialgerichtes. Das Gericht hat demnach das Kindergeld als Einkommen dem Sozialgesetzbuch (SGB) aus § 11 Abs.1 Satz 3 SGB II zugeordnet.

Danach ist das Kindergeld minderjähriger Kinder, soweit es bei dem jeweiligen Kind zur Sicherung des Lebensunterhaltes benötigt wird, dem Einkommen des jeweiligen Kindes zuzurechnen. Die Kosten für das Fernstudium des Klägers seien nicht von seinem Einkommen als Fahrer und Betreuer im Behindertenfahrdienst abzusetzen. Nach § 11 Abs.2 Nr.5 SGB II seien die mit der Erzielung des Einkommens verbundenen notwendigen Ausgaben von diesem abzusetzen. Kosten für ein Fernstudium der Betriebswissenschaft seien keine Werbungskosten der Tätigkeit im Behindertenfahrdienst.

Die Kosten einer Garage zählen nicht zu den Angemessenen Kosten einer Unterkunft gemäß § 22 Abs. 1 SGBII. Nachzahlungsaufforderungen für Abwasser/Wasser sind vom Amt in voller Höhe, gemäß § 22 Abs. 1 SGBII zu übernehmen.
Kosten für den Kaminkehrer sind Kosten der Unterkunft und somit zu übernehmen.

(Bundessozialgericht B 7b AS 42/06 B 14.09.2006)

Gefunden bei: Hartz IV Info & Nachrichten. Aktuelle Hartz 4 Informationen

Arbeitloser muss sich ernsthaft bewerben

Empfänger von Sozialleistungen müssen sich ernsthaft auf eine von der Bundesagentur für Arbeit vermittelte Arbeitsstelle bewerben, so das Bundessozialgericht in Kassel (Urteil v. 05.09.2006, Az.: B 7a AL 14/05 R).
Mit einer Bewerbung müsse ein Arbeitsuchender sein Interesse an der Aufnahme eines Arbeitsverhältnisses zum Ausdruck bringen. Erscheine die Bewerbung aus der Sicht eines verständigen Arbeitgebebers nach Form und Inhalt als „Nichtbewerbung“, d.h. als unbeachtlich oder offensichtlich unernst gemeint, so müsse der Arbeitslose Leistungskürzungen hinnehmen.

Hier hatte ein Empfänger von Arbeitslosenhilfe (jetzt: ALG II) sich auf eine vom Arbeitsamt (jetzt: Agentur für Arbeit) vermittelte Stelle beworben. Allerdings brachte er im Bewerbungsschreiben sein Nicht-Interesse an einer Arbeitsaufnahme zum Ausdruck. „Obwohl ich denke, über eine gute Qualifikation zu verfügen, möchte ich darauf hinweisen, dass ich im Bereich AV (Arbeitsvorbereitung) weder über eine Ausbildung noch über Berufspraxis verfüge und dies auch keine Wunschtätigkeit wäre“[Die Hervorhebungen sind im Original enthalten], so der Arbeitssuchende in seinem Bewerbungsschreiben.
Daraufhin stellte das damalige Arbeitsamt die Zahlung von Arbeitslosenhilfe vorläufig ein, verhängte eine zwölfwöchige Sperrzeit und forderte zu Unrecht gezahlte Leistungen zurück. Begründung: Bei dem Bewerbungsschreiben habe es sich um eine Nicht-Bewerbung gehandelt. Zu Recht, bestätigten die Bundessozialrichter.
Mit einer Bewerbung müsse ein Arbeitsuchender sein Interesse an der Aufnahme eines Arbeitsverhältnisses zum Ausdruck bringen. Eine solche Obliegenheit, mithin eine Pflicht, die im eigenen Interesse zu befolgen ist, treffe den Arbeitslosen auch dann, wenn er sich auf einen Vermittlungsvorschlags der Agentur für Arbeit hin bewirbt. „Der Arbeitslose muss alles unterlassen, was der Aufnahme eines Arbeitsverhältnisses nach außen hin erkennbar entgegenläuft.“ Hierbei sei auf die Sicht eines verständigen Arbeitgebers abzustellen. Ob der Arbeitslose das Beschäftigungsangebot tatsächlich zielgerichtet habe ablehnen wollen, darauf komme es nicht an.

Quellen:RA – BLOG, blog.juracity.de und Medien-Information Nr. 27/06 des Bundessozialgerichts

Unterhaltspflicht für pflegebedürftige Eltern (Elternunterhalt)

Der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe hat sich heute erneut hinter erwachsene Kinder gestellt, deren Eltern die Kosten für ihren Heimaufenthalt nicht aus eigener Tasche bezahlen können. Nach einem Urteil (Urteil des XII. Zivilsenats vom 30.8.2006 – XII ZR 98/04 (pdf)) können die Kinder ein angemessenes Vermögen für die Altersvorsorge behalten und müssen dies nicht für den so genannten Elternunterhalt einsetzen.

In dem entschiedenen Fall konnte die Mutter die Kosten ihres Aufenthalts in einem Seniorenheim in Bayern nicht aus eigenen Einkünften decken. Die Sozialhilfe bezahlte den Heimaufenthalt, verlangte das Geld aber vom Sohn zurück. Von seinem laufenden Einkommen von monatlich 1.330,00 Euro netto konnte der Sohn nichts abzweigen. Allerdings hatte er 113.400 Euro gespart. Das Sozialamt verlangte, er solle dieses Geld für den Heimaufenthalt der Mutter herausgeben.

Quelle:Handakte WebLAWg, Tagesschau vom 30.8.2006 sowie der Pressemitteilung des BGH (Nr. 122/2006)

Umzug für neun Monate wegen bedarfsübersteigender Leistungen ist Schwerbehinderter nicht zumutbar

Umzug für neun Monate wegen bedarfsübersteigender Leistungen ist Schwerbehinderter nicht zumutbar.

SG Düsseldorf, Beschluss vom 08.08.2006, Az. S 35 AS 172/06 ER

Tenor:

Für die Prüfung der Angemessenheit von Leistungen für Unterkunft und Heizung sind neben den konkreten Verhältnissen auf dem örtlichen Mietmarkt die persönlichen Lebensumstände der Hilfebedürftigen in die Prüfung mit einzubeziehen. Danach greift die Regelvermutung des § 22 Abs. 1 S.2 SGB II nicht ein, wonach den Bedarf übersteigende Leistungen längstens für sechs Monate gezahlt werden, wenn es einer Schwerbehinderten nicht zuzumuten ist, für den Zeitraum von neun Monaten unter Aufgabe ihres bisherigen sozialen Umfelds noch in eine angemessene, preisgünstige Wohnung umzuziehen, weil dann wegen der zu erwartenden Rente der Anspruch auf Sozialleistungen wegfällt.
(Zu: § 22 SGB II)

Quelle: www.sozialgerichtsbarkeit.de

Steuererstattung stellt teilweise bedürftigkeitsausschließendes Einkommen i. S. d. § 11 Abs. 1 S. 1 SGB II dar

Steuererstattung stellt teilweise bedürftigkeitsausschließendes Einkommen i. S. d. § 11 Abs. 1 S. 1 SGB II dar.

SG Aachen, Urteil vom 18.07.2006, Az. S 11 AS 58/06

Tenor:

Die teilweise Aufhebung eines Bewilligungsbescheides über ALG II wegen einer an den Leistungsempfänger gewährten Einkommenssteuererstattung ist rechtmäßig. Die Einkommenssteuererstattung ist nicht als Vermögen nach § 12 SGB II, sondern als teilweise bedürftigkeitsausschließendes Einkommen i. S. d. § 11 Abs. 1 S. 1 SGB II zu berücksichtigen. Dieser Einordnung steht nicht entgegen, dass sich in der zur Auszahlung gebrachten Steuererstattung eine bereits vorher bestehende Rechtsposition realisiert.

(Zu: § 11 Abs. 1 S. 1 SGB II , § 12 SGB II , § 48 Abs. 1 S. 1 SGB X , § 54 Abs. 2 S. 1 SGG )

Quelle: www.sozialgerichtsbarkeit.de

Gemeinsam getätigter Erwerb einer Immobilie legt Annahme einer eheähnlichen Lebensgemeinschaft nahe

Gemeinsam getätigter Erwerb einer Immobilie legt Annahme einer eheähnlichen Lebensgemeinschaft nahe.

SG Aachen, Beschluss vom 31.07.2006, Az. S 11 AS 92/06 ER

Tenor:

Der gemeinsam getätigte Erwerb eines Wohnhauses spricht für ein Wirtschaften aus einem Topf und erfüllt die objektiven Umstände für das Vorliegen einer Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft im Sinne einer eheähnlichen Lebensgemeinschaft. Eine bloße Zweckgemeinschaft zur Anschaffung einer Immobilie wäre etwa dadurch gekennzeichnet, dass sich in der Immobilie verschiedene Wohnungen befinden; abschließbare Zimmer genügen nicht, denn dies ist in so gut wie allen Wohnhäusern der Fall.
(Zu: § 7 Abs. 3 SGB II, § 9 Abs. 2 S. 1 SGB II)

Quelle: www.sozialgerichtsbarkeit.de

Bei Ablehnung von gleichzeitig angebotenen Arbeitsstellen keine Leistungsabsenkung des ALG II nach § 31 SGB II

SG Berlin, Beschluss vom 09.03.2006, S 53 AS 1305/06 ER:

Tenor:
Ergeht wegen der Verweigerung der Aufnahme von drei gleichzeitig offerierten Arbeitsstellen aus demselben Grund nach zwei Sanktionsbescheiden noch ein dritter Bescheid, mit dem Leistungsabsenkungen festgesetzt werden, so steht dies im Widerspruch zur erzieherischen Funktion des § 31 SGB II. Dieser sieht zwar bei wiederholter Pflichtverletzung weitere Leistungsabsenkungen vor, was jedoch zeitlich aufeinander folgende Pflichtverletzungen voraussetzt, da bei einer Ablehnung von gleichzeitig angebotenen Stellen der erhoffte verhaltensändernde Effekt der Sanktion nicht eintreten kann.

(Zu § 31 SGB II)

Behörde muss bei verhaltensauffälligem Kind bis zu 10% höhere Wohnungskosten übernehmen

LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 31.07.2006 (AZ: L14 B 168/06 AS ER)

Tenor:
Hat die Trennung der Eltern bei einem Kind erhebliche psychische Belastungen und Verhaltensauffälligkeiten hervorgerufen und besteht keine andere Wohnmöglichkeit, die dem Kind einem Verbleib im seinem bisherigen Umfeld ermöglichen würde, so liegen besondere Umstände vor, die ein Überschreiten des generellen Richtwertes für Mietkosten um bis zu 10% rechtfertigen. Die tatsächlichen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung (KdU) sind dann nicht unangemessen, so dass ein Anspruch gegenüber der zuständigen Behörde auf Kostenübernahme besteht.

(Zu: § 22 Abs. 1 SGB II)