Archiv der Kategorie: Urteile zu Sozialfragen

Eine Erbschaft im Sozialhilfe-Bezugszeitraum ist als Einkommen zu berücksichtigen

Einkommen sind alle Einnahmen in Geld oder Geldeswert mit Ausnahme der in § 11 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 und 3 SGB II und in § 1 der Arbeitslosengeld II/Sozialgeld-Verordnung genannten Leistungen und Zuwendungen. Als Einkommen ist zu bewerten, was der Hilfebedürftige während eines Zahlungszeitraums wertmäßig dazu erhält, als Vermögen das, was er bei Beginn eines Zahlungszeitraums bereits hat. Fließt dem Hilfebedürftigem in der Zeit, in der er Sozialhilfe bezieht, eine Erbschaft zu, so ist diese als Einkommen und nicht als Vermögen zu berücksichtigen. Freibeträge kann er daher nicht geltend machen.

SG Lüneburg, Beschluss vom 01.03.2007, Az. S 24 AS 212/07 ER

Quellen:

jurion.de und SG Lüneburg

Eine vollständige Versagung von Leistungen nach dem SGB II ist bei Verletzung der Mitwirkungspflicht rechtswidrig

Kommt ein Empfänger von Alg-II der Aufforderung zur persönlichen Vorsprache beim Arbeitsvermittler nicht nach, so stehen dem Leistungsträger ausschließlich die für diesen Fall normierten Sanktionen zur Verfügung. Die gänzliche Verweigerung von Leistungen ist dabei nicht vorgesehen. Ein Verwaltungsakt, der unter Bezugnahme auf §§ 60, 61, 66 SGB-I die Alg-II-Leistungen vollständig verwehrt, ist in diesem Fall rechtswidrig.

Quellen:

jurion.de und SG Lüneburg

Anspruch auf Übernahme der Kosten für Klassenfahrt in tatsächlicher Höhe

Auf entsprechenden Antrag sind die Kosten für eine Klassenfahrt grundsätzlich in Höhe der tatsächlichen Kosten vom Leistungsträger zu übernehmen. Dies gilt zumindest insoweit, als die Kosten nicht außer Verhältnis stehen. 250 € für einen mehrtägigen Segeltörn sind nicht unangemessen. Einer Übernahme dieser Kosten steht auch nicht entgegen, dass der Antragsteller seine 12-jährige Schulpflicht bereits erfüllt hat.
zu § 23 Abs. 3 Nr. 3 SGB II

SG Lüneburg, Beschluss vom 30.01.2007, Az. S 30 AS 119/07 ER

Quellen:

jurion.de und SG Lüneburg

Kein Anspruch auf 3-monatige Mitnahme von Arbeitslosengeld II bei Arbeitssuche in Italien

Das LSG Nordrhein-Westfalen hat mit einem Beschluss vom 30.03.2007 (Az. L 19 B 102/06 AS) festgestellt, dass:

es europarechtskonform ist, den Anspruch auf Arbeitslosengeld II während eines Auslandsaufenthaltes lediglich für einen Zeitraum von 3 Wochen zu gewähren, sofern der Leistungsträger der Ortsabwesenheit zugestimmt hat. Der grundsätzliche Ausschluss der Exportfähigkeit des Arbeitslosengelds II verstößt darüber hinaus nicht gegen das Gleichbehandlungsgebot, weil Arbeitslosengeld II unter Gewährung des Zuschlags nach § 24 Abs. 1 SGB II weiterhin exportfähig ist. (spa)

EWGVO-1408/1971, GG Art. 3 Abs. 1, SGB-II § 7 Abs. 4a, SGB-II § 24 Abs. 1

Quellen:

Sozialgerichtsbarkeit, LSG Nordrein-Westfalen und Jurion

Kein Arbeitslosengeld II nach Gewinn eines Autos

Gewinnt ein Langzeitarbeitsloser in einem Gewinnspiel einen PKW, besteht in der Folgezeit kein Anspruch auf Arbeitslosengeld II, bis der Wert des Wagens verbraucht ist. Dies hat das Sozialgericht Dortmund im Fall eines Familienvaters aus Iserlohn entschieden, der bei einer Baumarktkette als Hauptgewinn eines Gewinnspiels einen neuen VW Golf im Wert von 17.610 Euro gewonnen hatte. Die Arbeitsgemeinschaft Märkischer Kreis (ARGE) hob daraufhin die Bewilligung von Arbeitslosengeld II mit der Begründung auf, der gewonnene PKW sei als einmaliges Einkommen anzurechnen. Dies führe zu einem Wegfall der Hilfebedürftigkeit für zehn Monate (Urteil vom 19.03.2007, Az.: S 27 AS 59/07 ER).

Quellen:

beck-aktuell und Sozialgerichtsbarkeit

§ 9 Abs. 2 S. 2 SGB II ist verfassungsrechtlich bedenklich

In einer Entscheidung, im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzes (§ 86b SGG), entschied das SG Duisburg, Beschluss vom 07.03.2007, Az. S 17 AS 60/07 ER das:

Die Vorschrift des § 9 Abs. 2 S. 2 SGB II, nach der bei der Berechnung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts auch das Einkommen eines Stiefvaters anzurechnen ist, begegnet verfassungsrechtlichen Bedenken. Es erfolgt dabei eine Einkommensanrechnung losgelöst von den tatsächlichen Gegebenheiten. Der Mutter bleibt dann zur Sicherstellung des Lebensunterhalts nur die Trennung vom Ehepartner, was der Wertentscheidung des Art. 6 Abs. 1 GG widerspricht.

Aus dem Beschlusstenor:

Die Regelung des § 9 Abs. 2 S. 2 in der ab dem 01.08.2006 geltenden Fassung begegnet im Hinblick auf die im Artikel 6 Grundgesetz gewährleistete Freiheit zur Eheschließung verfassungsrechtlichen Bedenken, weil nach dem Wortlaut des § 9 Abs. 2 S. 2 SGB II mit der Eheschließung automatisch eine Unterhaltsverpflichtung für die Kinder der Ehefrau verknüpft ist. Darüber hinaus verletzt § 9 Abs. 2 S. 2 das Gebot zur Sicherung des Existenzminimums aus Artikel 1 Abs. 1 Grundgesetz in Verbindung mit dem Sozialstaatsgebot des Artikel 20 Grundgesetz. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist der Staat aus Artikel 1 Abs. 1 Grundgesetz in Verbindung mit dem Sozialstaatsgebot des Artikel 20 Abs. 1 Grundgesetz verpflichtet, dem mittellosen Bürger die Mindestvoraussetzungen für ein menschenwürdiges Dasein erforderlichenfalls durch Sozialleistungen zu sichern (Bundesverfassungsgericht Beschluss vom 29.05.1990 = BverfGE 82, 60, 85). Dieser Sicherungsauftrag wird durcch § 9 Abs. 2 S. 2 SGB II nicht mehr verfassungskonform gewährleistet, weil die Regelung allein die schematische Anrechnung von Einkommen zum Inhalt hat, ohne dass darauf Rücksicht genommen wird, ob das Existenzminimum des jeweiligen Kindes tatsächlich durch entsprechenden Einkommenszufluss durch den Stiefpartner gesichert ist. Sollte dies nämlich nicht der Fall sein, so stünden dem Kind keinerlei rechtliche Möglichkeiten zur Verfügung, eine tatsächliche Deckung seines Bedarfs durchzusetzen.

SGB-II § 9 Abs. 2 S. 2, GG Art. 6 Abs. 1, GG Art. 100 Abs. 1

Quellen:

Jurion und Sozialgerichtsbarkeit

Kosten der Unterkunft: Tilgungsraten zum Kauf von Wohneigentum werden nicht übernommen

In einem Beschluss des Hessischen LSG (05.03.2007, Az. L 7 AS 225/06 ER) entschied das Gericht:

Zu den angemessenen Leistungen für die Unterkunft, auf die hilfebedürftige Langzeitarbeitslose Anspruch haben, gehört nicht die Übernahme von Tilgungsraten für Darlehen, die dem Aufbau von Wohneigentum dienen. Unterkunftskosten werden Langzeitarbeitslosen von den Kommunen in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen erstattet, wenn sie angemessen sind. Das können Mietkosten, aber auch Darlehenszinsen für selbst genutztes Wohneigentum sein. Tilgungsraten gehören nicht dazu, weil sie der unmittelbaren Vermögensbildung dienen und dies nicht Zweck der Grundsicherung für Arbeitssuchende ist.

Quellen:

Sozialgerichtsbarkeit und Jurion.de

SGB II Empfänger können Mehrbedarf wegen Diabetes geltend machen

Diabetiker, die wegen ihrer Krankheit auf besondere Ernährung angewiesen sind, haben Anspruch auf einen Zuschlag zum Regelsatz des ALG II (Hartz IV).

Das entschied das Hessische Landessozialgericht in einem Beschluss (Aktenzeichen: AZ L 7 AS 241/09 ER vom 05.02.2007). Die hessischen obersten Sozialrichter gaben einem Kläger recht, der an Diabetes mellitus vom Typ IIa leidet, und dem die Arbeitsgemeinschaft (ARGE) aus O. einen Mehrbedarfszuschlag verwehrt hatte. Die ARGE argumentierte, Diabetiker könnten sich ohne finanziellen Mehraufwand krankheitsgerecht ernähren.

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht (BSG) angefochten werden (§ 177 SGG).

Zwar sei in der medizinischen Wissenschaft die Frage nach der Notwendigkeit und Wirksamkeit einer besonderen Diabetes-Kost noch nicht endgültig entschieden. Solange dies aber so sei, folge das Gericht den Empfehlungen des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge. Dieser empfehle eine besondere Krankenkost für Diabetiker. Da diese Ernährung einen medizinisch notwendigen tatsächlichen Bedarf abdecke, gehöre ihre Finanzierung zum verfassungsrechtlich geschützten Existenzminimum, entschied das Gericht. Dem Kranken sei nicht zuzumuten, diesen Mehrbedarf aus dem so genannten «Ansparanteil» des Regelsatzes zu decken, da dieser für einmaligen besonderen Bedarf gedacht sei, urteilten die Richter.

Zitat aus der Beschlussbegründung:

In seiner Auskunft vom 4. Oktober 2006 hat der Deutsche Verein vielmehr ausdrücklich erklärt, dass er seine Empfehlungen aus dem Jahre 1997 aktuell überprüfe; bis zum Abschluss dieser Revision, deren Ergebnis noch völlig offen sei, werde an den Empfehlungen aus dem Jahr 1997 festgehalten, in diesen werde weiterhin eine geeignete Grundlage zur Bemessung des Mehrbedarfs nach § 21 Abs. 5 SGB II gesehen.

Zitatende

Nachtrag zum BSG Urteil vom 07.11.2006, Az. B 7b AS 18/06 R

Die Angemessenheit von Unterkunftskosten ist im Einzelfall zu ermitteln.

Die Tabellenwerte in § 8 WoGG stellen keinen geeigneten Maßstab zur Ermittlung der Angemessenheit tatsächlicher Kosten einer Wohnunterkunft dar. Das entscheidende Gericht muss im Einzelfall selbst ermitteln, welche Wohnungskosten angemessen sind. Faktoren für die Entscheidungsfindung sind die Größe der gegenwärtig durch die Bedarfsgemeinschaft angemieteten Wohnung, die landesrechtlich anerkannten Größen nach dem WoFG, der Wohnungsstandard im Verhältnis zum Wohnungsstandard sonstiger Wohnungen im sozialen Umfeld der Bedarfsgemeinschaft, sowie die konkrete Lage auf dem Wohnungsmarkt hinsichtlich tatsächlich verfügbaren „angemessenen“ Wohnraums.

ALG II auch für Abendschüler

Auch Abendschüler können unter bestimmten Voraussetzungen Anspruch auf Arbeitslosengeld II (SGB II) haben.

Das entschied das Sozialgericht Aachen. Im konkreten Fall hatte die zuständige Arge die Zahlung von ALG II an einen Abendrealschüler abgelehnt. Dieser absolvierte neben einem «Ein-Euro-Job» eine auf zwei Jahre angelegte Ausbildung mit 22 Wochenstunden an der Abendschule. Die Arge begründete die Ablehnung damit, dass eine Ausbildung an der Abendschule grundsätzlich nur mit BAföG unterstützt werden könne.

Die Richter verwiesen jedoch auf eine Verwaltungsvorschrift zum BAföG, der zufolge ein Schüler nur im Jahr vor der Abschlussprüfung Anspruch auf Förderung habe, da die Schulausbildung die Arbeitskraft erst dann voll in Anspruch nehme. Da der Antragsteller in seiner Ausbildung noch nicht so weit fortgeschritten sei, könne er gar kein BAföG bekommen und habe deshalb Anspruch auf ALG II.

Diese Entscheidung könnte nach Einschätzung des Gerichts «weit reichende Bedeutung für ‚Hartz-IV‘-Empfänger haben, die auf der Abendrealschule oder dem Abendgymnasium einen Abschluss nachholen wollen». Denn bislang werde in der Rechtsprechung ein Anspruch auf ALG II für Abendschüler unabhängig vom Studienfortschritt grundsätzlich ausgeschlossen.

Quellen:

Förderland vom 19.02.2006

Sozialgericht Aachen, Beschluss vom 14. Februar 2007, AZ: S 15 AS 19/07 ER